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https://soundcloud.com/user-370750047/der-atem-des-waldes-klangspuren-vom-amazonas-stereoversion

 

The composition is based on sounds I recorded during a two weeks expedition in the Amazon rainforest at Marmori Lake, Brazil. Sounds of frogs, insects, bats, birds, river dolphins, fish, crabs and howling monkeys became part of the piece, representing the magnificent biodiversity of this place. Processing like filtering, time-stretching and granular synthesis was added, forming transitions and exploring the hidden potential of the recorded sounds. The composition was a commission of the Bavarian radio (BR Klassik), additionally supported by the Momento Fond Zurich.

 

Der Atem des Waldes – Klangspuren vom Amazonas

 

Das Werk basiert ausschließlich auf Klängen, die ich während einer zweiwöchigen Expedition am Mamori-See im Amazonas-Regenwald Brasiliens aufgenommen habe. Klänge von Fröschen, Insekten, Vögeln, Fledermäusen, Flussdelphinen, Fischen und Brüllaffen wurden Teil der elektroakustischen 5.1-Komposition, ergänzt durch Geräusche von Gewittern und menschlichen Aktivitäten. Ausschnitte aus einem Interview mit einem einheimischen Jäger erzählen von den Legenden des Waldes.

Da das Aufnahmegerät oft für mehrere Stunden ohne Anwesenheit von Menschen im Wald gelassen wurde, erzeugten die Tiere ihre Klänge meist sehr nah an den Mikrofonen. So sind Aufnahmen von außergewöhnlicher Qualität entstanden, welche die faszinierend hohe Biodiversität dieses bedrohten Ökosystems wiedergeben. Insbesondere nachts und in der Dämmerung ist die Dichte an akustischer Aktivität besonders beeindruckend. Außerdem benutzte ich Unterwassermikrofone für verschiedene Wasserlebewesen.

An sehr vielen Stellen des Werks sind unbearbeitete Aufnahmen zu hören, Bearbeitungen der Naturgeräusche formen dagegen vor allem den letzten Teil, in welchem ich u.a. Filter, Transposition, und Granularsynthese einsetzte. Dabei arbeitete ich mit den Programmen AudioSculpt, MaxMSP, Digitalperformer, GRMTools und ProTools. Die Dauern formaler Abschnitte sowie Transpositionsstrukturen wurden teilweise mit Hilfe der Fibonacci-Reihe berechnet.

Ermöglicht wurde diese Komposition durch einen Auftrag des Bayerischen Rundfunks und die freundliche Unterstützung des Momento Fond Zürich.

 

Naturgeräusche, insbesondere Vogelstimmen, finden sich in zahlreichen Musikstilen unterschiedlichster Epochen, von Vivaldis Die vier Jahreszeiten über Werke Messiaens bis zu traditioneller Musik der Maori. In diese Tradition reiht sich Der Atem des Waldes ein und thematisiert unsere Wahrnehmung von Naturgeräuschen. Die Klangwelt des Amazonas ist dazu besonders gut geeignet, da Amazonien für europäische Reisende eine riesige Projektionsfläche darstellt. So beschreibt Werner Herzog während seiner Dreharbeiten den Amazonas-Regenwald als „erfüllt von Obszönität, und die Natur hier ist niederträchtig und gemein, ich könnte hier nichts Erotisches entdecken, ich sehe vielmehr unzüchtige Begattung und Erwürgen und Ersticken und Kampf ums Überleben und Wachstum und Fäulnis. (...) Die Bäume hier stehen im Elend, und die Vögel sind voll Elend, ich glaube nicht, dass sie singen, sie schreien nur vor Schmerz. Es ist ein unfertiges Land, es ist noch immer prähistorisch, das einzige, was hier fehlt sind die Dinosaurier. Es ist, als laste ein Fluch über der gesamten Landschaft. (...) Wenn ich mich genauer umsehe, was so um uns ist, dann gibt es da so eine Art von Harmonie, es ist die Harmonie von überwältigend gegenwärtigem, gemeinschaftlichem Morden.“[1]

Diese eurozentrische Sichtweise Herzogs übersieht, dass Amazonien seit Jahrtausenden ein indianischer Kulturraum und keinesfalls geschichtslos ist. Ebenso fragwürdig ist seine einseitige Funktionalisierung von Tierstimmen. Eine gegensätzliche Position nimmt z.B. Gadamer ein, er sieht in der Natur einen Überschuss, welcher sich in den vielfältigsten Erscheinungsformen artikuliert: “Was lebendig ist, hat den Antrieb der Bewegung in sich selber, ist Selbstbewegung. Das Spiel erscheint nun als eine Spielbewegung, die durch ihre Bewegung nicht Zwecke und Ziele anstrebt, sondern die Bewegung als Bewegung, die sozusagen ein Phänomen des Überschusses, der Selbstdarstellung des Lebendigseins, meint.“

In diesem Zusammenhang spricht Gadamer auch von “dem elementaren Überschußcharakter, der in der Lebendigkeit als solcher nach Darstellung drängt.“ [2]

Nach Gadamer offenbart Musik ihre eigentliche Bedeutung erst in der Funktionslosigkeit. Möglicherweise ist dies auch die wesentliche Botschaft des Orfeus-Mythos, Der Atem desWaldes spielt auf diesen Mythos an: Zu Beginn ist ein Fährmann zu hören, welcher für die Überfahrt über den Amazonas wirbt, später ist die Legende von einem Mann zu vernehmen, dessen Frau sich in einen Flussdelphin verwandelt und ihn verlässt, als er das Geheimnis ihrer nassen, kalten Haut ergründen will. In der Psychotherapie findet der Orfeus-Mythos seit einiger Zeit vermehrt Beachtung, die Musik wird hier als Überwindung der Subjekt/Objekt-Dichotomie und damit verbundener Funktionalisierung gesehen: „Nach meiner These vollzieht sich die Hadesfahrt also nicht mittels der Musik, sondern die Hadesfahrt selbst ist die Musik. Die Hadesfahrt ist eine Metapher für das, was wir in der Musik erleben: die unmögliche Nähe des verlorenen Objekts. Das effektive Wiedererreichen einer fusionellen Einheit mit dem Objekt. Mit dieser Interpretation wird das rätselhafte Blickverbot verständlich. Verstehen wir die Musik als eine Fusion mit dem Objekt, als ein symbiotisches Verhältnis, so wird klar, dass wir dieses Objekt niemals werden sehen können. Wenn Sehen für Distanz steht, dann wird man das Objekt der symbiotischen Einheit niemals zu Gesicht bekommen. Es ist unsichtbar. In der Welt der Distanz und der Reflexion kann es nicht erfahren werden.“ [3]

 



[1] Les Blank, Burden of Dreams, USA 1981

[2]Hans-Georg Gadamer, Die Aktualität des Schönen - Kunst als Spiel, Symbol und Fest, Stuttgart 1977

 

[3]Sebastian Leikert, Den Spiegel durchqueren - Der Orpheusmythos und die Psychoanalyse der Musik, www.psychoanalyse-hannover.de/werkstatt/Originalarbeiten/ORPHEUS.rtf, 2007